Oftmals wird leider das liturgische Geschehen pauschalisiert und als „Gottesdienst" bezeichnet. Damit bleiben die inhaltlichen Unterschiede der einzelnen liturgischen Feiern des „Gottesdienstes" hinter der sprachlichen Vereinheitlichung zurück.
Kleiner Exkurs: Schon Martin Luther stellte in seinen Invokativpredigten im März 1522 die Fragen: Wie sollen wir Gottesdienst feiern? Und wie bereitet man sich darauf vor? - Die kurze zusammengefasste Antwort darauf: Wir müssen vom Ende her denken! Martin Luther sagt: Gestaltet eure Gottesdienste und euer christliches Leben so, dass ihr im Sterben getröstet sein könnt und dass ihr dem Teufel etwas entgegenzusetzen habt, wenn er euch anklagt und versucht, euch in Verzweiflung zu stürzen. Und so müssen wir schauen: Was macht die Feier des Gottesdienstes mit meinen geistlichen Geschwistern und mir? - Es darf kein Geplapper und kein leeres Nachsprechen des Glaubens sein. Denn im Gottesdienst vereinen sich Himmel und Erde (Hebräer 12, 22-24).
Der Begriff „Gottesdienst" kann nur ein Oberbegriff für alle christlichen Feiern sein. Die liturgischen Feiern bieten je nach Intention und Anlass eine Vielfalt an Gestaltungsformen für das gottesdienstliche Leben der Gemeinde, die es zu pflegen gilt, um auch eine Formen-Monotonie entgegenzuwirken. Die in den christlichen Feiern enthaltenen liturgischen Elemente sind identisch, variieren aber ggf. in der Anordnung.
So gibt es als liturgische Feiern:
~ den Messgottesdienst, |
~ den Predigtgottesdienst, |
~ die Andacht, |
~ die Stundengebete: |
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* die Nachtwache (Matutin), |
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das Morgenlob (Laudes), |
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* das Mittagsgebet (Sext), |
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* das Abendgebet (Vesper), |
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* das Nachtgebet (Komplet). |
Mess- und Predigtgottesdienst
Die Bezeichnung Gottesdienst mit Heiligem Abendmahl beschreibt in der Praxis eine evangelische Messe bzw. einen Messgottesdienst, der aus einem Wortgottesdienst und einer Abendmahlsfeier jeweils mit liturgischen Wechselgesängen besteht. Diese liturgische Feier wird im Evangelischen Gottesdienstbuch „Grundform I" genannt. Dabei steht im Wortgottesdienst die Verkündigung des Wortes Gottes im Mittelpunkt. Die Vorgabe zu den Texten, über die gepredigt wird, finden sich in der Perikopenordnung. Der Wortgottesdienst ist gleichwertig mit der Abendmahlsfeier.
Dieser Messgottesdienst eint die Konfessionen, egal ob römisch-katholisch, altkatholisch, anglikanisch, lutherisch, orthodox. Ihre Feier zeigt die Verbindung untereinander. Sie ist die erste und älteste Form des christlichen Gottesdienstes. Die Messe hat zwei Höhepunkte: Predigt und Abendmahl - Wort und Sakrament. Und dies ist seit den Tagen der Apostel so: „Am ersten Tag der Woche aber, als wir versammelt waren, das Brot zu brechen, predigte ihnen Paulus." (Apostelgeschichte 20, 7).
Damit steht der dreieinige Gott im Mittelpunkt des Messgottesdienstes: Wir loben einig einen Gott und Vater und danken ihm für Jesus Christus und für das, was Christus für uns getan hat. Wir verkünden und feiern Jesus Christus in unserer Mitte und beten zu ihm und durch ihn. Und wir bitten um den Heiligen Geist und rufen ihn herab auf die Gaben und die ganze Gemeinde.
Die fünf klassischen Gesänge prägen seit den ersten Tagen der Kirche den Messgottesdienst: Wir rufen mit dem Kyrie (Herr erbarme dich) Christus an. Wir loben im Gloria patris Gott Vater, Sohn und Heiligen Geist und preisen im Glaubensbekenntnis Gott durch unser Lob und Bekenntnis des Glaubens. Im Sanctus (Heilig, heilig, heilig) vereinen sich die sichtbare und die unsichtbare Kirche. Mit dem Agnus Dei loben wir den im Sakrament gegenwärtigen Christus und empfangen Christi Leib und Blut in, mit und unter Brot und Wein.
Die Bezeichnung „Messe" stammt von der ursprünglichen lateinischen Schlussformel: „ite missa est" - „Geht, ihr seid gesandt."
Die im Evangelischen Gottesdienstbuch enthaltene „Grundform II" bezeichnet den Predigtgottesdienst, in dem die Liturgie durchweg gesprochen wird und die Gemeinde lediglich durch den Liedgesang beteiligt ist. Auch dieser Feier kann eine Abendmahlsfeier hinzugefügt werden, weshalb der Name eher irritiert. In der Praxis - auch in unserem Kirchspiel - wird als Predigtgottesdienst die Feier eines reinen Wortgottesdienstes verstanden.
Andachten
Andachten sollen durch ihre kürzere Form nicht die Gottesdienste ersetzen. Der liturgische Wert der Andacht ergibt sich aus ihrem Wesen. Andachten sind anlassbezogene Formen, in denen das gemeinsame Gebet im Vordergrund steht und die zur Betrachtung und Meditation sowie zur Anbetung einladen. Die Elemente der Andacht können je nach Anlass variieren. Auch die verstärkte Einbeziehung von Musik als musikalische Andacht ist möglich. Die Andacht ist jedoch keine liturgische Feier dritter Klasse.
Die Andacht hat eine wichtige Funktion im Gemeindeleben: Sie legt die Schwelle niedriger für „neue" Teilnehmer, sie ist im Alltag eingebettet, weil sie die anlassbezogenen Bedingungen aufgreift, sie lässt zur Ruhe kommen und führt ganz individuell zur Gottesbegegnung. Wolfgang Ratzmann beschrieb Andachten als „kleine Gottesdienste", die wie die große Formen auch zur Kommunikation mit Gott und zur Erneuerung des Vertraues zu ihm führen.
Damit führt das Kleine - die Konzentration auf einen Aspekt, auf einen Anlass, auf wenige Elemente - zu jener Ruhe, die wir oft so nötig haben.
Stundengebete
Auch das Stundengebet ist eine liturgische Feier, die in Gemeinschaft und auch einzeln geschehen kann. Die Gebetszeiten waren ursprünglich Gebete im Klosterleben und strukturierten den Tag. Das Stundengebet führt in die Gemeinschaft mit der ganzen Kirche. Das regelmäßige Stundengebet macht erfahrbar, wie das Leben im Kirchenjahr zu einer Selbstverständlichkeit wird und wie das Gebet alle Lebensbereiche prägt. Die Gebetszeiten haben ähnliche Abläufe und sind setzen inhaltlich unterschiedliche Schwerpunkte. Es werden Teile der Psalmen gebetet und Teile der Heiligen Schrift gelesen. Die Vorgaben dazu finden sich im Evangelischen Tagzeitenbuch.
Die Matutin wird zwischen Mitternacht und frühem Morgen gebetet. Dieses Gebet geschieht meist nur noch in Ordensgemeinschaften oder in den Gemeinden zu besonderen Anlässen. Als Canticum (hymnischer Text) erklingt das Benedicite (Daniel 3, 51-90). Die Laudes soll gegen 6 Uhr gebetet werden; im heutigen Alltag nach dem Aufstehen. Als Canticum erklingt das Benedictus (Lukas 1, 68-79). Die Sext folgt um 12 Uhr; daher auch der Zusammenhang zum Angelusgebet. Um 18 Uhr folgt die Vesper; im Gemeindeleben meist in den Abendstunden. Als Canticum erklingt das Magnificat (Lukas 1, 46-55; Marias Lobgesang). Die Komplet erfolgte in den Klöstern vor der Nachtruhe. Sie ist geprägt vom Gottvertrauen und der Parallele zwischen Schlaf und Tod. Als Canticum erklingt das Nunc dimittis (Lukas 2, 29-32).
Durch das Gebet in der Andacht und in den Stundengebeten treten wir in intensiven Kontakt mit Gott. Und anknüpfend an die Offenbarung (19, 10) sollen die Menschen Gott immer gemeinsam mit und in der Nachahmung der Engel anbeten: „Und ich fiel nieder zu den Füßen des Engels, ihn anzubeten. Und er sprach zu mir: Tu es nicht! Ich bin dein und deiner Brüder Mitknecht, die das Zeugnis Jesu haben. Bete Gott an!"
Diese gepflegte Formenvielfalt lässt das Heilige Abendmahl als Höhepunkt gottesdienstlichen Handelns spürbar werden, doch so sehr das Heilige Abendmahl auch das „Zentrum aller Liturgie ist, so kann sich doch der Christ nicht immer im Zentrum aufhalten." (Manfred Probst). Eine gleichmäßige Gewichtung der liturgischen Feiern im Jahreslauf sollte dabei nicht außer Acht gelassen werden, sodass auch der Aspekt des gemeinsamen Gebets - über das Vaterunser hinaus - seinen Stellenwert in der Gemeinde behält.
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